Purpose – 3 Missverständnisse

Das Thema "Purpose finden" ist in aller Munde. Purpose-Unternehmen versprechen Erfolg ohne Gier. Purpose Statements sind Thema mehrtägiger Strategieklausuren von Leitungsteams. Und auch ganz persönlich suchen immer mehr Menschen nach ihrem Life Purpose. Wie immer bei heißen Buzzwords gibt es dabei leider auch viele Missverständnisse.

Das ist schade. Denn richtig verstanden halte ich die Suche nach dem, was wir als unsere sinnvolle Aufgabe und Bestimmung empfinden immer noch für einen extrem hilfreichen Schritt. Sowohl für Unternehmen als auch für einzelne Menschen. In der Persönlichkeitsentwicklung in der Lebensmitte. Im Prozess der beruflichen Findung und Entwicklung als Unternehmer*in. Oder beim Entwickeln eigener Haltung in der Führung.

Deshalb geht es in diesem Artikel um Fehlannahmen und Überinterpretationen eines kraftvollen Konzepts - mit Fokus auf die individuelle Perspektive. 

Legen wir los.

Missverständnis 1 - Selbstmarketing

"Wenn ich mit Kollegen rede, dann will ich in einem Satz sagen können, was ich mache." So oder ähnlich formulieren viele meiner Gesprächspartner ihren Wunsch in der Strategiesitzung. Verständlich - wer hätte beim Netzwerken und Kontakte knüpfen nicht gerne eine stimmige und griffige Formulierung. Gerade Generalist*innen sind häufig unsicher, wie sie ihre vielen Talente, Ideen und Projekte so rüberbringen können, dass andere auch verstehen, was sie sagen. Und dass es idealerweise noch beeindruckend klingt. 

Daran ist nichts falsch. Aber: Diese Selbstmarketing-Perspektive hemmt beim Prozess, seinen Life Purpose zu finden. Das schielen auf die Außenwirkung aktiviert eine Reihe von selbstsabotierenden inneren Stimmen und Mustern. Wir fühlen uns unsicher und klein (weil die anderen ja potenziell kritisch auf uns schauen). Wir fühlen uns gedrängt, uns mit unserem Purpose-Statement größer, schillernder, erfolgreicher darzustellen, als wir wirklich sind. Oder wir wollen geliebt, bewundert, angenommen werden - was mehr mit uns selbst als mit der Sinnfrage zu tun hat. 

Nochmal: All diese Gefühle und Stimmungen sind in Ordnung. Die meisten von uns kennen sie in unterschiedlicher Ausprägung. Aber: Sie stehen einer authentischen Sinnfindung eher im Weg. Denn sie verhindern, dass wir in Kontakt kommen mit dem, was wir aus tiefstem Herzen und ganz ehrlich als unsere Aufgabe beschreiben würden. 

Und so entstehen Selbstbilder, die vielleicht geeignet sind, das LinkedIn-Profil aufzuhübschen. Aber keine tief empfundener Erkenntnisschritt, der hilft, frei, fokussiert und gelassen sich dem zu widmen, was man schon immer als seine Aufgabe empfunden hat.

Missverständnis 2 - Life Purpose als Weltrettung

Für Gesprächspartner*innen der Generation Y geht bei Purpose oft nichts unterhalb von Weltfrieden, Lösung der Klimakrise oder zumindest einem kleinen Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit. Und auf den ersten Blick ist dagegen wenig einzuwenden. Denn bei Purpose geht es ja tatsächlich eher um unsere altruistischen Wünsche. Das, was wir für andere tun wollen, wenn es uns selbst gut geht. 

Die Missverständnisse liegen hier eher im Detail. Einerseits in einer Überschätzung des eigenen Einflusses auf das Weltgeschehen. Was zu Frustrationen und in der Folge zur Rechtfertigung von Egoismus führen kann ("wenn ich es nicht hinkriege, das Plastikproblem ein für alle Mal zu lösen, dann kann ich auch gleich Investmentbanker werden"). Und andererseits in der Verwechslung allgemeiner gesellschaftlicher Ziele und der ganz persönlichen Perspektive darauf. 

Die Kernfrage beim eigenen Purpose ist nämlich gar nicht, welches gesellschaftliche Ziel wir für sinnvoll und erstrebenswert halten. Sondern vielmehr, in welcher persönlichen Rolle wir gerne beitragen möchte zur Verwirklichung von Zielen, die wir sinnvoll finden. Welche Rolle zu uns, unseren Werten und Stärken passt. In welcher Rolle wir nicht nur rational, sondern auch emotional das Gefühl haben, mit unserer Individualität einen sinnvollen Beitrag in der Gemeinschaft leisten zu können - und zu wollen. 

Beispielsweise macht es durchaus einen deutlichen Unterschied in der Praxis, ob ich dem Ziel "Nachhaltigkeit" dienen möchte als detailverliebte Architektin von sozialen Räumen (z.B. für Teams und Communities, die gemeinsam Lösungen entwickeln wollen, um Interessenskonflikte beim Thema Nachhaltigkeit zu überwinden) oder als agitatorische Dorne unter dem Sattel der Mächtigen (die mit politischen Aktionen und brillanten Reden zur Umkehr aufruft). Unterschiedliche Life Purpose Statements - und in der Folge unterschiedliche Schritte zur Realisierung.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Natürlich ist es großartig und sehr sinnvoll, zu helfen wo es Probleme gibt. Ganz akut sehen wir das in der immensen Solidarität und Hilfsbereitschaft für die Ukraine. Nur - die Frage welche Aufgabe ich mittelfristig für mich als sinnvoll empfinde hat mehr zu tun mit dem individuellen Beitrag in diesem Prozess als mit der bloßen Tatsache, helfen zu wollen in dringender Not. Und der kann häufig erfüllender sein, wenn er auch realistisch ist.

Missverständnis 3 - Purpose als Ego-Booster

Manchmal spielen uns unverarbeitete Bedürfnisse und unklare Werte ein böses Spiel und verzerren den Blick auf unseren Purpose. Und in diesem Fall wird das Nachdenken über die eigenen Aufgabe plötzlich zu einer Ersatzbefriedigung für eigentlich im Ego verortete Bedürfnisse, Ängste und Sehnsüchte. 

Dieses Missverständnis ist meiner Erfahrung nach das häufigste. Und potenziell auch das gefährlichste. Warum? Weil ein egobasiertes Life Purpose Statement dazu führen kann, dass wir beginnen, manipulativ oder übergriffig zu agieren. 

Ein Beispiel, das mir besonders unangenehm ist - weil es mein eigenes ist: Als ich mich vor Jahren auf die Reise machte, meinen Purpose zu finden und zu leben, da fand ich ziemlich schnell ein Bild von mir als "Heiler". Ich empfand (und empfinde bis heute) die Welt oft als zerrissen und gespalten. Und mich selbst als Wanderer zwischen diesen Welten, der Verständnis hat für beide Seiten und der versucht, beiden Welten Heilung zu verschaffen. Diese Erkenntnis hat mich damals emotional sehr berührt. 

Das Problem: Diese Vorstellung hatte wenig damit zu tun, welche Aufgabe ich für mich sehe. Sondern vielmehr mit meinen damals nicht gut verarbeiteten und verstandenen Sehnsüchten und Bedürfnissen nach Harmonie, Gemeinschaft und Versöhnung. 

In den folgenden Monaten und Jahren erlebte ich immer wieder, dass ich in diesem allumfassenden Heiler-Anspruch mich und andere überforderte. Dass ich versuchte, mich verantwortlich zu machen für Konflikte und Unterschiede, für die ich nicht verantwortlich war. Und in der Folge tat ich mir selbst nicht gut (durch Überlastung) und enttäuschte auch andere (durch Versprechungen, die ich nicht einhalten konnte).

Mein Ego hatte mir einen Streich gespielt. Es hatte mir vorgegaukelt, es wäre meine sinnvollste Aufgabe, ein tiefe und in der Absolutheit unrealistische Sehnsucht zu erfüllen. Im Kern ging es dabei nicht um die anderen - sondern um mich.

Heute empfinde ich als meine Lebensaufgabe eine ganz andere Rolle. Eine, bei der das Sprachbild etwas "kleinere Brötchen backt" - und bei der ich (glaube ich) viel sinnvoller beitragen kann zu etwas Gutem in der Welt. In meinem heutigen Life Purpose-Statement geht es immer noch im Kern um den Wunsch nach Harmonie und Versöhnung. Aber mein Bild für meine Rolle ist viel spezifischer. Und begrenzt auch klar meinen Verantwortungsbereich. 

Es ist ganz normal, dass man es als sinnvolle Aufgabe empfindet, ein Problem zu lösen, das man selbst erlebt hat. Das geht fast allen Menschen so. Das Missverständnis ist nicht, einen eigenen Anteil im Purpose zu sehen. Das Missverständnis ist, die Befriedigung von eigenen (insbesondere übertriebenen oder unrealistischen) Wünschen und Sehnsüchten zum Gegenstand des Purpose zu machen. 

Life Purpose finden - eine lohnende Reise

Wie können wir das Thema anders angehen? Wie können wir Missverständnisse  beim Thema Life Purpose vermeiden und Zugang finden zu dem, was wir tatsächlich als sinnvolle Aufgabe empfinden? 

Zunächst hilft es, wenn wir uns klar machen, dass die Formulierung und Umsetzung unserer Lebensaufgabe eine Reise ist, die nicht mal eben durchgeführt und abgeschlossen werden kann. Es ist ein lebenslanger Suchprozess mit Zwischenzielen, die dann auch wieder verworfen oder weiter entwickelt werden dürfen.

Bei diesem Prozess hilft es, zunächst einen Fokus zu legen auf die eigenen Bedürfnisse, Werte und Sehnsüchte. Erst wenn mir klar ist, was mir eigentlich selbst wichtig ist - und wie ich dafür konkret Verantwortung übernehmen kann. Erst dann wird der Blick frei für das, was ich für andere tun kann und möchte. 

Es hilft auch, bei der Purpose-Suche nicht bei allgemeinen Zielen und Themen stehen zu bleiben, sondern auf die Suche zu gehen in eigenen Utopien, eigenen Werken, eigenen Handlungen. Welche ideale Welt stelle ich mir vor? Wenn ich kreativ werde, was baue ich? Tue ich? Gestalte ich? Welche Rolle nehme ich intuitiv ein in Situationen, in denen es mir selbst gut geht und ich für andere da bin? (Wer Lust hat, sich zu dem Thema selbst zu erkunden findet eine Selbst-Coaching-Anleitung hier.)

Bei all diesen Prozessen hilft es, nicht auf der Suche zu sein nach einem sehr intensiven, aufwühlenden und überwältigenden Gefühl. Sondern eher nach dem positiven, aber leiseren Gefühl von Befriedigung, Sinnhaftigkeit und Flow. 

  • Danke Claudia! Ja, auf jeden Fall. Bzw., was ich öfter mal sehe, dass es ein Bauchgefühl gibt, was der „eigentliche“ Purpose ist – aber die Situation gerade nicht richtig ist, um diesen zu benennen. Oder aber man nur einen Aspekt der Purpose-Formulierung sieht, und in einer neuen Lebensphase plötzlich merkt, dass ein ganz anderer Aspekt des Purpose im Mittelpunkt steht. Ich mag es ganz gerne, sich das als „Schichten“ vorzustellen – einen tiefen Purpose-„Kern“, der sich wahrscheinlich selten oder vielleicht gar nicht ändert, an den man aber im Kern gar nicht rankommt. Sondern dem man sich immer wieder neu nähert. Und jede Annäherung kann sich immer wieder als Wechsel oder Veränderung bemerkbar machen.
    Bei der grundsätzlichen Frage, ob es so etwas wie „die eine“ Persönlichkeit gibt, die sich nie ändert, bin ich trotz aller Erfahrung immer noch unsicher. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass es so eine stabile „Essenz“ gibt, die sich nur im Extremfall (z.B. eine hirnorganische Veränderung) ändert. Mein Kopf sagt mir, dass Menschen sich natürlich in unterschiedlichen Lebensphasen unterschiedlichen Aufgaben widmen und/oder anderen Aspekten ihres Purpose Bedeutung zumessen. Und die Empirie ist, so weit ich das überblicke, irgendwo dazwischen.

  • Vielen Dank, lieber Florian, ich habe den Beitrag gerne gelesen. Vielleicht darf ich noch ergänzen, dass – wie bei Dir – sich der Purpose auch ändern darf, dass er ergänzt oder verworfen werden darf.

  • {"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}

    Blog Abonnieren

    Mail-Updates jederzeit kündbar. Du erhältst mein E-Book als Geschenk.

    Autor

    Florian ist Blogger, Coach und Entwicklungspartner für Persönlichkeit, Führung und Kultur.

    Sein "Found Blog" bietet Tipps und Hintergründe für Weltgestalter, die ihre persönlichen Werte leben, ihren Purpose finden und damit erfolgreich Impact haben wollen.

    Purpose. 6 Abenteuerreisen zu Deinem persönlichen Fundament

    Lust auf eine Abenteuerreise?

    Eine packende Abenteuerreise zu Dir selbst. Mit 6 ganz unterschiedlichen Anleitungen, wie Du herausfindest, was Du wirklich bewirken und gestalten willst. 


    Abonniere die Found E-Mail-Updates und ich schenke Dir das E-Book für alle, die beruflich hoch hinaus wollen und das im Einklang mit ihrer Persönlichkeit.

    >